Vortrag von Johann August Schülein mit dem Titel: Was ist aus der vaterlosen Gesellschaft geworden? Teil 2

Im letzten Beitrag sprach Johann A. Schülein über die moderne Persönlichkeit. Sie lebt in der Gegenwart, sowie von Situation zu Situation und bildet keine Kontinuität aus. Mitscherlich spricht hier von einer "Momentpersönlichkeit" von Menschen also, die von den situativen Bedingungen ihre Impulse entlehnen und sich ebenso wie diese protheushaft (?) ändern ohne dass die einzelnen Momente zu einer einheitlichen Geschichte zusammenwüchsen. Geschichte setzt Gedächtnis voraus. Dieses scheint unter den extremen Anforderungen unserer Grosszivilisation auf das Fachwissen beschränkt zu sein es entspricht ihm kein ebenso geschärftes Gedächtnis für die eigene Affektgestalt, für das selbst, für die unumgänglichen Krisen seiner Entwicklung. Auf der Strecke bleiben dabei auch die Fähigkeiten zur Objektbeziehung. Man hängt sein Herz nicht mehr an etwas. Zwar werden Gegenstände schnell im Doppelsinn besetzt aber die Objektlibido findet keinen festen Halt nicht in Mitmenschen, nicht in Dingen. Das erhöht zwar die Anpassungsgeschwindigkeit führt in der Folge jedoch zu Kritikunfähigkeit und zu ungestilltem Identifikationshunger, ständige Unruhe und Unsicherheit. In der Extremform entsteht daraus das was man den Kaspar Hauser Komplex nennt. Hier dominiert unterschwellig eine wahnähnliche Weltverarbeitung, vor dem Hintergrund einer absolut gewordenen Unzuverlässigkeit, Fremdheit und Bedrohlichkeit von Mensch und Ding. Aus dem Ausgeliefert-Sein an eine unverständliche Welt, ohne die Stütze stabiler Internalisierung entsteht der Prototyp eines Menschen mit von Geburt an verarmten Beziehungen zu einer kulturellen Menschenwelt. Doch hören Sie selbst, wie Herr Schülein dieses Kaspar Hausersyndrom weiter eräutert. Di., 13.5.2014, 19.30 Uhr, IWK Psychoanalyse und Gesellschaftstheorie Johann August Schülein (Wien): Was ist aus der »Vaterlosen Gesellschaft« geworden? Eine Nach-Lese von Mitscherlichs Zeitdiagnose Mitscherlichs Studie »Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft« erschien 1963 und wurde schnell zu einem der meistdiskutierten (und bestverkauften) populärwissenschaftlichen Bücher der Nachkriegszeit. Auch heute noch ist der Begriff geläufig – das Buch selber ist dagegen weitgehend unbekannt. Das ist schade, denn die spezifische Mischung von Gesellschaftsanalyse und Gesellschaftskritik ist nach wie vor lesenswert und instruktiv. Selbst wo sie historisch überholt ist, ist sie lehrreich, weil sie auf hohem Niveau die Ansprüche und Risiken psychoanalytischer Gesellschaftsdiagnosen verdeutlicht. Johann August Schülein: Professor für Soziologie an der Wirtschaftsuniversität Wien, Mitherausgeber der Reihe »Psyche und Gesellschaft« im Psychosozial-Verlag.

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